Vorwort

Wer kennt sie nicht, die Sehnsucht nach Glück, Frieden, Sicherheit und Wohlstand? Die Sehnsucht nach einem Stückchen Erde oder nach vier Wänden, in denen man loslassen, sich entwerfen oder einfach nur man selbst sein kann. Eine Heimat, die in Zeiten aufflammender politischer Brennpunkte, sozialer Ungerechtigkeit oder wirtschaftlicher Ungewissheit Sicherheit garantieren soll. Der Fokus liegt dabei nicht nur auf der eigenen, sondern vor allem auf der Sicherheit der Schutzbedürftigsten unserer Gesellschaft, auf der unserer Kinder. Diese vor Fremdeinwirkung, Gefahren und Krankheit zu schützen und ihnen zugleich eine sonnige und unbeschwerte Kindheit zu gewährleisten, ist für die meisten Eltern ein fundamentaler Wunsch. Im Idealfall soll den Kindern ein Paradies auf Erden bereitet werden. Dieses irdische Paradies ist keine Erfindung der Neuzeit. Im Buch Genesis 2, 8-15 wird von dem Garten Eden, dem irdischen Paradies erzählt. Ein Stück Land, in dem der Mensch sicher leben könne, alle seine Bedürfnisse gestillt würden und ewiger Friede herrsche. Das Land sei jedoch von außen unzugänglich, da es nach mittelalterlichen Vorstellungen durch eine Feuerwand oder ein dichtes Nebelband eingefriedet sei, oder vielleicht – aus zeitgenössischer Sicht – von einer immergrünen, dichten Thujenhecke umrandet ist.

Ein solcher Ort könnte der geeignete Platz sein, um unsere Kinder in Sicherheit zu wiegen. Er könnte ein Kinderparadies auf Erden sein. Spätestens bei der Ausstattung des Kinderparadieses mag es dem ein oder anderen entfallen sein, wie das Paradies der eigenen Kindheit ausgesehen hat, oder die Frage in den Sinn kommen, ob es die Kinder heutzutage in ihrem Paradies nicht viel kindgerechter, fröhlicher, bunter und vor allem sicherer haben sollten als wir es hatten. Wer möchte heute noch das eigene Kind den Gefahren aussetzen, die von einem aus altem Holz zusammengenagelten, hoch in der Baumkrone befindlichen und von allerlei kleinem Getier heimgesuchten Baumhaus ausgehen? Dem elterlichen Dilemma, zu wissen, wie das Kinderparadies nicht aussehen darf, ohne sich dabei konkret vorstellen zu können, wie es denn stattdessen gestaltet werden sollte, schaffen die Industrie, die Baumärkte und Shoppingcenter Abhilfe. Täglich flattern Werbeprospekte mit Gestaltungsvorschlägen für das mustergültige Exterieur und Interieur eines solchen Paradieses ins Haus. Sie weisen offensichtlich den richtigen Weg ins Glück, wie man es an den begleitenden Abbildungen glücklich wirkender Familien ablesen kann.

Seit vielen Jahren interessiert sich Robert F. Hammerstiel für diese von der Industrie ununterbrochen an uns ausgegebenen Empfehlungen für Glücksmodelle, die angereichert sind mit industriell hergestellten Massenprodukten. Mittels einer glatten Werbeästhetik, die die Wirklichkeit vereinfacht imitiert und Illusionen aufbaut, werden jene Modelle an die Frau und an den Mann gebracht. Einem Chirurgen gleich untersucht Hammerstiel nüchtern das Dargebotene. Mit seinem Operationsbesteck – der Fotografie, dem Video und der Installation – operiert er fein säuberlich die einzelnen Gegebenheiten und Objekte aus dem großen Organismus Gesellschaft heraus. Einem Produktfotografen gleich präsentiert Hammerstiel Waren in starker Vergrößerung vor exakt ausgeleuchtetem, neutralem Hintergrund. Vorgefundene häusliche Arrangements drängt er in seinen Fotografien mittels der gezielten Wahl des Ausschnitts vehement in den Blick des Betrachters und präsentiert diese Realität überscharf und schonungslos. Opulent gerahmt und im musealen Kontext verführen die Arbeiten von Robert F. Hammerstiel zum genauen Betrachten, das mit einem Wiedererkennen von Motiven einhergeht, die der eigenen Erfahrungswelt entsprechen.

Fasziniert und irritiert steht manch‘ ein Betrachter vor den bestens aufbereiteten und von der natürlichen Umgebung isolierten Abbildungen von Dingen und Situationen und wähnt sich dabei im Präparatemagazin eines wissenschaftlichen Instituts zu stehen.

Diese Auszüge aus der Realität sollen Bausteine des Paradieses für unsere Kinder sein? Oder ist es lediglich das den Kindern von der Industrie und den Erwachsenen vorgesetzte Paradies? Ein irdisches Paradies, das den Kindern mit seiner grünen Thujenhecke aus gut gemeinter und konstruierter Sicherheit die Möglichkeit vorenthält, jenseits der Einfriedung liegende Erfahrungen zu sammeln und eigene Vorstellungen zu entwickeln? Die Beantwortung dieser Fragen lässt Robert F. Hammerstiel bei uns Betrachtern, jedoch mit dem kalkulierten Wissen, dass er mit seinen Arbeiten den Stein zum Stellen der Fragen und zum Hinterfragen unserer Entscheidungen und Handlungen ins Rollen gebracht hat. Hierfür sei Robert F. Hammerstiel vom Haus der Fotografie Burghausen herzlich gedankt.

Ines Auerbach, 2018