Nach Anfängen, die noch unbestritten in der Tradition einer dokumentarischen Autorenfotografie stehen - zusammengefasst in den Publikationen An Bord 1 (1985) und Stand-Orte (1988) -, rückt Robert F. Hammerstiel seit mehr als zwanzig Jahren konsequent die zeitgenössische Warenwelt in den Mittelpunkt seiner künstlerischen Ermittlungen. Die Ende der 1980er-, Anfang der 1990er-Jahre entstandenen Werkgruppen, wiedergegeben im Ausstellungskatalog Der Stand der Dinge(1991), lassen sich heute retrospektiv als Phase des Übergangs anschreiben. In ihnen artikuliert sich erstmalig ein Interesse für gewöhnliche Objekte, Lebensstile und die Alltagskultur von Menschen samt den darin eingelagerten stillen Wünschen. Bereits die nachfolgenden Projekte, gebündelt in Make it up (1993-1994), identifizieren die Lebenswelten als Warenwelten. So nimmt der Künstler etwa die Barbie®-Puppe des US-amerikanischen Spielzeugherstellers Matell Inc. ins Visier, indem er sie in monströsen Glamourporträts inszeniert; oder er stellt ihre Kleidung, noch in der Verpackung, so wie sie über den Ladentisch geht, fotografisch aus. 2
Wenn also der Kunstkritiker Andreas Spiegl als ein "zentrales Motiv" in Hammerstiels Werk "die Ware und damit eine Ökonomie des Versprechens" 3 diagnostiziert, ist dem sicherlich zuzustimmen. Es ist dies eine symptomatische Einschätzung. In den wissenschaftlichen Katalogtexten 4 glüht und glimmt - etwas pauschal gesprochen - noch der ideologiekritische Geist von Psychoanalyse und Frankfurter Schule nach. Diese Diskurse speisen sich im Hinblick auf die hier in Rede stehenden Arbeiten aus Begriffen wie "Konsumkritik", "Entfremdung", "Gebrauchswert", "Tauschwert", "Surrogat", "(falscher) Schein", "Illusion", "Kulissen", "Warenfetischismus", "Warenförmigkeit", "Bedürfnisproduktion" und "Verdrängung". Unschwer lässt sich als Hintergrundfolie das Kapitel Kulturindustrie, Aufklärung als Massenbetrug aus Horkheimers und Adornos gemeinsamer Schrift Dialektik der Aufklärung 5 ausmachen. Ausbuchstabiert wird eine Kritik der Warenästhetik 6. Tausch- und Gebrauchswert der Ware stehen sich hier unversöhnlich, gleichsam manichäistisch gegenüber. Der Kapitalist produziert die Ware lediglich für den Tausch (Ware gegen Geld), um damit Profit zu erwirtschaften; dem Konsumenten ist die Ware reiner Gebrauchswert (etwa Schuhe zum Tragen, Zigaretten zum Rauchen). Da der Gebrauchswert der Ware erst nach dem Tausch konsumiert werden kann, ist ein Versprechen, was den Gebrauch angeht, kurz ein "Gebrauchswertversprechen", wie es Wolfgang Fritz Haug nennt, notwendig. Die ästhetische Erscheinung der Ware, ihr Design, aber darüber hinaus auch Markenimage und Werbung vermitteln dieses Versprechen.
In jeweils verschiedener Weise konzentrieren Hammerstiels theoretische Wegbegleiter ihre Aufmerksamkeit auf das Gebrauchswertversprechen als den Kern einer jeden Warenästhetik. Das Hohle, das Verlogene, den falschen Schein, den Massenbetrug etc. gilt es freizulegen. Allerdings funktioniert das nicht so reibungslos, denn die künstlerische Arbeit widersetzt sich nämlich vehement einer umstandslosen Eingemeindung in eine gesellschafts- und ideologiekritische Position. Worin liegt ihre Unbotmäßigkeit, ihr Eigensinn, von dem so viel von ihrem intellektuellen Reiz ausgeht? Hören wir einen der Kommentatoren dazu: Unter anderem mit Bezug auf die Werkgruppe Make it up "nimmt Hammerstiel sogar den Verdacht in Kauf, sich dieser virtuellen Konsumwelt womöglich affirmativ zu nähern", so Michael Müller, jedoch will der Künstler - und damit wendet der Autor den Verdacht ab - den Produkten "auf gar keinen Fall die Sprache nehmen, auf deren Sichtbarmachung es ihm ja gerade ankommt. Wertungen folgen daher niemals vordergründig einer Moral. Statt dessen demonstrieren all seine Arbeiten, wie sehr das Entfremdete schon längst das Vertraute, das Nahe, das Alltägliche und Gewöhnliche geworden ist." 7
Das wiederholt konstatierte grenzgängerische Spiel mit der Affirmation interessiert mich, wobei diese Feindin einer jeglichen Ideologiekritik an den bestehenden Verhältnissen, dies sei festgehalten, schlussendlich auch niemand ernstlich unterstellt. Meine Überlegungen entwickle ich entlang der fotografischen Serien. Ob und in welcher Weise die Ergebnisse für die Videoarbeiten und Installationen Geltung beanspruchen können, wäre zu prüfen. Mehrerlei Aspekte nähren den Verdacht des vordergründigen Bejahens der Waren(welt) und der damit verbundenen gesellschaftlichen Implikationen. Erstens zeigt Hammerstiel ausschließlich Waren oder kommodifizierte Praktiken in Bild und Installation. Zweitens geschieht das anscheinend noch zusätzlich in Form von qualitativ hochwertigen Produktfotografien, worin sich ja prototypische Darstellungscodes von Waren verkörpern. Drittens macht es den Anschein, als ob die dargebotenen Artefakte fabrikneu wären, denn es fehlen alle Spuren eines Gebrauchs, die eigentlich den Dingen erst Leben und Nutzen einhauchen. Viertens unterstreicht oft die Namensgebung der Werkgruppen den Warencharakter, indem entweder der Produktname direkt zum Werktitel avanciert oder dieser ein verführerisch-fröhliches Versprechen respektive einen letztlich abgefeimten Imperativ formuliert (All for Your Delight, Trust Me, Make Yourself at Home, Alles in bester Ordnung, Happy Hours etc.).
Gehen wir einzelne Punkte davon durch. Zunächst drängt sich die Frage auf, warum Hammerstiel nicht die Waren selbst präsentiert. Mein Antwort-Vorschlag rekurriert auf die Logik, die der Praxis des Zeigens innewohnt. 8 Bilder lassen sich dazu benutzen, um jemandem etwas real Abwesendes (infolgedessen auch die Welt der Waren) zu zeigen. Gleichzeitig kommt man dabei nicht umhin, auch das Bild als Objekt selbst zu zeigen. Je nach Situation und Zusammenhang können der eine oder andere Zeige-Akt oder beide zugleich im Vordergrund stehen. So definiert sich etwa der Ausstellungsraum als ein kultureller Ort, an dem Bilder um ihrer selbst willen zu sehen gegeben werden. Somit meine ich, ist es dem Künstler um ein doppeltes Zeigen zu tun: Einmal zeigt er uns Waren, einmal Bilder (die Waren in einer bestimmten Weise abbilden). Zielt eine Kritik der Warenästhetik stärker auf Erstere, folglich auf die "metaphysische[…] Spitzfindigkeit und theologische[n] Mucken" 9 der Ware, so lenke ich, in Ergänzung, den Blick stärker auf die Bilder und die Frage, wie die Ware fotografisch repräsentiert wird. Der bereits zitierte Michael Müller hebt zu Recht hervor, dass es dem Künstler um die "Sichtbarmachung" einer "Sprache" der Produkte gehe; dem ist nun das Bestreben, die Sichtbarmachung einer Rhetorik der Repräsentation zu leisten, hinzuzugesellen.
Hammerstiel ist nicht allein ein Analytiker der Warenwelt, sondern zugleich einer ihrer Repräsentation. Exemplarisch möchte ich das an der Serie Trust Me, entstanden in den Jahren 2010 bis 2014, untersuchen. Die mit der Großformatkamera (8 × 10 inch) erstellten Aufnahmen offenbaren uns Bäume in Originalgröße - auf den ersten Blick. Studiert man die Bilder im Detail, ist an Steckverbindungen zu erkennen, dass die Bäume aus Plastik bestehen. Die Naturimitate entstammen einem Fachgeschäft, in dem sich Gewerbetreibende und Veranstalter mit Dekorationsmaterial eindecken. Das aufregende semantische Treiben, das Imitate zu entfachen vermögen, beschäftigte den Künstler schon in mehreren Fotoprojekten (etwa Made by Natur - Made in China, 2004-2006, oder All for Your Delight III, 2011).
Da das Feld der Warenästhetik-Kritik schon sehr gut bestellt ist, kann ich sie hier getrost beiseitelassen. Mit Trust Me verfolgt der Künstler eine akkurate Inspektion der Politik und Poetik fotografischer Repräsentation. Repräsentationskritik geschieht dadurch, dass sich Darstellungen an allen alternativen Darstellungen - hier der Baum-Waren und im weiteren Sinne aller Darstellungen von Waren - zu messen haben, um Differenzen zu markieren. Die Dekobäume finden sich wieder auf klassischen Produktfotografien, die das Fachgeschäft im Bestellkatalog und auf seiner Website publiziert. Ein kursorischer Blick lässt uns glauben, diese Transporteure des Gebrauchswertversprechens seien identisch mit Hammerstiels Arbeit. Doch das sind sie nicht, und zwar in mehrerlei Hinsicht, was uns zwingt, extra genau hinzuschauen und unser Auge zu schulen.
Die Unterschiede betreffen den Ort, das Format und die Inszenierung. Die institutionelle Kraft, die dem Ausstellungsraum von potenter Seite zugesprochen wird, erschafft kategoriale Differenzen und verwandelt Fotografien in Kunst; die anderen, die unvermögenderen Orte wie Bestellkataloge zeigen Reproduktionen. - Mit der Wahl des Formats verbindet sich immer ein strategisches Kalkül. Hammerstiel veranstaltet Blow-ups von seinen Negativen, bis entweder die abgebildeten Objekte im Maßstab eins zu eins (zum Beispiel bei Über allen Wipfeln ist Ruh', 2000, Yucca I, 1998 und Pussicat, 1998) oder extrem vergrößert (bei Buffalo, 1998, und Make it up I, 1993-1994) zu sehen sind.
Die Gründe dafür können recht unterschiedlich ausfallen: erstens Bedeutsamkeitssteigerung durch Größe bis zur ironischen oder grotesken Epiphanie der Ware, zweitens die Kreation eines Spannungsverhältnisses von Waren-Trivialität und Bildmonumentalität oder drittens Einblick und Aufklärung über Sachverhalte, die der gesteigerten Sichtbarkeit entspringen. Letzterer Gesichtspunkt trifft den Punkt bei Trust Me, 10 denn ohne satte Vergrößerung könnte das Ding nicht als das dekuvriert werden, was es ist. Die produktfotografische Aufnahme des Visual-Merchandising-Artikels kann ein solches nicht leisten, denn sie ist unter anderen Produktionsverhältnissen entstanden. Die dort herrschende ökonomische Rationalität verbietet es, Bilder dergestalt zu produzieren, dass man gegebenenfalls über den unmittelbar geforderten Zweck hinausgehen könnte. Da diese Fotografien ausschließlich auf den Veröffentlichungskontext Katalog und Webshop hin gestaltet werden, also sozusagen monofunktional sind, verfügen sie gar nicht über die Datenkapazität für enorme Vergrößerungen. Eine Vergrößerung, die Aufschluss über die Materialität der Objekte gewährte, wird in diesem Zusammenhang auch nicht benötigt, denn dieser kommuniziert deutlich genug, dass es sich hier um Plastikbäume handelt.
Kommen wir zur fotografischen Produktinszenierung. Sowohl in Hammerstiels wie in den kommerziellen Aufnahmen schwebt der Baum frei und isoliert in der Mitte des Bildes. Kein weiterer Gegenstand trübt den Anblick der Ware, sie scheint sich in einem imaginierten Urzustand zu befinden. Das Herausnehmen aus jeglichem Verwendungszusammenhang soll unseren Blick ausschließlich auf die Gestalt, die Formen und Farben des Objekts lenken. Diese standardisierte Inszenierung darf - und das ist keineswegs zynisch gemeint - als ein strukturelles Äquivalent zum White Cube der Kunstwelt begriffen werden. Sosehr die Aufnahmen einander auch oberflächlich ähneln mögen, wurde der White Cube doch jeweils völlig unterschiedlich hergestellt. Griff der Künstler auf handwerklich bewährte Techniken zurück, so der Auftragsfotograf auf computerisierte Arbeitsmittel, die wirtschaftliche Effizienz verheißen. Ersterer bediente sich einer sogenannten Voute oder Hohlkehle in seinem Studio: Das meint eine als Bildhintergrund drapierte Stoff- oder Kartonbahn, die den Übergang von der Senkrechten in die Horizontale abrundet, um so die Raumkante zu kaschieren. Die Lichtsetzung sorgt für einen zurückhaltenden Helligkeitsverlauf auf der Voute, von oben hell bis unten einen Anflug dunkler. Zudem wirft das Objekt einen äußerst dezenten Schatten - das alles zusammen indiziert diskret die konkrete Räumlichkeit des Ateliers. Gänzlich anders verfährt der Produktfotograf mit den Bäumen. Der Workflow ist durchgehend digitalisiert, anders wäre der gewerbliche Lichtbildner auch nicht konkurrenzfähig. So nimmt er digital auf und bearbeitet die Ergebnisse am Computer. Mithilfe des Programms Photoshop macht er, wie das im Grafikerjargon heißt, Freistellungen, das heißt, er schneidet mit einem "Zauberstab" genannten Tool die Bäume aus. Diese Postproduktion erspart viel Arbeitszeit, da das komplette Arrangement im Atelier samt dessen Ausleuchtung nicht besonders durchgearbeitet werden muss. Für die kleinen Abbildungsgrößen im Verkaufskatalog und im Internet genügt das auch. Die Bäume stehen somit in einem virtuellen Raum, der dem Betrachter absolut keine, wenn auch noch so subliminal wahrnehmbare Anhaltspunkte mehr liefert, die auf einen Raum hindeuten. Resümee: Wieder verweisen auf den ersten Blick so ähnliche Bilder auf ganz unterschiedliche Produktionsbedingungen, die man indes, bei sehr genauem Hinschauen, auch an den Fotografien selbst ablesen kann.
Wie wir gesehen haben, baut Hammerstiel ein nuanciertes Netz von Differenzierungen, von allerkleinsten Verschiebungen, um so seine bedachtsam erwogenen Repräsentationen der Warenwelt neben und gegen die vielen anderen, die im weltweiten Kapitalismus zirkulieren, zu platzieren. Das Kritische an seiner Arbeit gründet in Akten des Zeigens, die das Wie-wird-gezeigt mit- und weiterdenken. So erweist sich das anscheinend vorbehaltlose, affirmative Zeigen als eine subtile Erörterung bestehender Repräsentationsverhältnisse. Robert F. Hammerstiels Werk drängt sich einem nicht mit reißerischem Entlarvungsgestus auf, nein, es verlangt nach sorgfältigem Schauen, nochmals Schauen und media literacy.Das sind elementare Kulturtechniken, für das 21. Jahrhundert noch mehr als für die vorhergehenden.
1 siehe Bibliografische Angaben: Robert F. Hammerstiel : Bücher, Kataloge.
2 Ein Überblick über alle Werkgruppen seit Make it up findet sich auf der Website des Künstlers, http://www.hammerstiel.net (Abruf: 18. März 2014).
3 Andreas Spiegl: Second Life ganz analog.
4 Vgl. die Beiträge in Robert F. Hammerstiel: Make it up; Ders.: Glücksfutter; Ders.: Vergiss Mozart; Ders.: Alles in bester Ordnung
( Robert F. Hammerstiel : Bücher, Kataloge ).
5 Max Horkheimer/Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt am Main: Fischer, 1969 (zuerst 1944).
6 Wolfgang Fritz Haug: Kritik der Warenästhetik, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1971 (= Edition Suhrkamp, Bd. 513) (überarb. Neuausg. 2009).
7 Michael Müller: Vom Verlust des Realen. Zur Photographie Robert F. Hammerstiels.
8 Vgl. Lambert Wiesing: Sehen lassen. Die Praxis des Zeigens, Berlin: Suhrkamp, 2013 (= Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 2046), bes. S. 40-51, 180-191.
9 Karl Marx: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Bd. 1, Berlin: Dietz, 1962 (zuerst 1867) (= Marx-Engels-Werkausgabe [MEW], Bd. 23), S. 85.
10 Gleichfalls aufklärerische Intentionen hat die Vergrößerung in der Arbeit Yucca I (1998), die Yucca-Palmen-Stecklinge in Originalgröße zeigt. Dabei sieht man deutlich die ökonomisch motivierten Zurichtungen an den Pflanzen.
Michael Ponstingl