Natürlich - Künstlich

Bloß in der Wohnung liegt die Zukunft der Natur.
Alexandre Vialatte

Niemals zuvor war die Idee der Natur so umstritten, so heftig mit ihrem Gegenteil, dem Künstlichen, konfrontiert wie an dieser Jahrhundertwende. Den Gesetzen eines städtischen "Massen-Rousseauismus" unterworfen, entkommt sie nicht dem Verdacht einer skandalösen Künstlichkeit, einer den Schwindel, ja selbst den Betrug beschönigenden Verfälschung. Wie auch viele andere Künstler, deren Blickschärfe sich auf die durch den fanatischen Konsumrausch unserer Gesellschaft ausgelösten Funktionsmechanismen (oder Funktionsstörungen) richtet, fordert Rober F. Hammerstiel mit seiner Arbeit Yucca in humoristischer Weise auf, in das durch einen werbe- und verkaufsstrategischen Zynismus geschickt aufbereitete Universum des "Wahr-Falschen" einzutauchen.
Wenn die Formel "Den Traum verkaufen" ihm am besten entspricht, so enthält sie auch jenen Gedanken, der sich unmittelbar bei Betrachtung der Photoserie dieser auf blühendes Wachstum konditionierten Palmen-Embryos aufdrängt. Produkte einer intensiven Aufzucht in holländischen Gewächshäusern, verkörpern sie allein – als Symbole von Exotismus und weiter Ferne – das Paradox jener Idee einer künstlichen Natur. Der gleichsam am Nullpunkt stehende, hier im Stadium extremer Auszehrung festgehaltene Entwicklungszustand der Pflanze findet sein Äquivalent nur in der bevorstehenden Üppigkeit ihrer Entfaltung (welche immer mehr, wie man weiß, in großen Einkaufszentren als im traditionellen Gartenbau forciert wird). Zweifellos sind diese in ihrer völligen Mittellosigkeit fast abstrakt wirkenden Yucca-Stämme das Ergebnis einer Natur-Ideologie, die von den Befürwortern der maßlosen Industrialisierung jeglicher Lebensform verdorben wurde. Solche Gedanken drängen sich angesichts von Werbeslogans wie folgendem auf: "Wir bieten ein Produkt von hervorragender Qualität und Haltbarkeit und mit hohem Zierwert." 1)
So wie die Unterwerfung der Natur als Zeichen allmächtiger Herrschaft des Menschen aufzufassen ist (mit ihrem Gegenstück der dümmlichen Vermenschlichung von Tieren) 2), ist jener auch imstande, seinen Mitmenschen einen unberührten Raum anzubieten, der es erlaubt, den Durst nach fremden Eindrücken und neuen Empfindungen zu stillen: Das Photo – oder das Poster – vom leeren Sandstrand, vor dessen makellosem, azurblauem Himmels- oder Meereshintergrund sich Palmen abzeichnen, verbirgt sorgfältig jedes Element, das den Traum stören könnte (etwa das reale, alltägliche Feriendorf). Der potentielle Tourist kann sich für die Dauer eines Augenblicks der "Fata Morgana" hingeben, welche jedoch, ausgelöst durch die immer gleichbleibende und schon tausend Mal gesehene Abbildung, nie an Wirkung verliert. Was haben die aufgebotenen Mittel zu bedeuten, wenn doch nur die Künstlichkeit ihren Charme spielen läßt!
Dies sind die verschiedenen Ebenen von Illusion und engstirniger Utopie, die uns Robert F. Hammerstiel mit seiner Kunst vor Augen führt, bezugnehmend auf das Verhältnis zwischen Mensch und Gesellschaft, Mensch und Landschaft, als Abbild einer zeigenössischen wohltemperierten "Mystik".

  1. Werbeslogan, zitiert vom Künstler im Rahmen seiner Ausstellung
  2. Phänomen unserer Gesellschaft, mit dem sich der Künstler ebenso auseinandergesetzt hat.

Patricia Brignone, Paris 1999
Übersetzung: Julia Garimorth