Mozart-Reflexionen

Robert F. Hammerstiel im Gespräch mit Margit Zuckriegl

MZ: Die Ausstellung hat den Titel "Vergiss Mozart", das soll also heißen, dass wir einen authentischen Mozart vergessen sollen?

RH: In dieser Ausstellung geht es nicht um Mozart in Form einer historisch-dokumentarischen Aufarbeitung, nicht um die biografische Figur und nicht um eine musikalische Annäherung. Es geht in meiner künstlerischen Arbeit immer um die Diskrepanz zwischen vorgefertigten Bildern und Kulissen einerseits und der Sehnsucht des Menschen nach Idylle andererseits.
Wenn man heute von einem Mozart-Bild spricht, denkt man meistens an eine Idee von Mozart, wie sie das 19. und 20. Jahrhundert geschaffen hat. Es gibt ja nur ganz wenige Bilder, also Porträts, von Mozart aus seiner Lebzeit. Und es geht mir auch nicht darum zu fragen, wie er wirklich ausgesehen hat. Ein Viertel-Jahrtausend nach seinem Leben ist das Bild von ihm nicht geschärft, sondern eher unklarer und verklärt. Jede Generation hat zum jeweiligen Mozartbild etwas dazugetan oder weggelassen und hat ihr eigenes Mozart-Bild entwickelt. Das begann schon unmittelbar nach seinem Tod – die Nachwelt hat an dem Kreieren dieser späteren Wahrnehmung mitgewirkt. Auch Schwanthaler, hat in seine Mozart-Statue etwas hineingepackt, was Mozart so offensichtlich gar nicht hatte: das Monumentale – das entsprach der damaligen Vorstellung von Repräsentation 1).
Heute verfügen wir über eine Unmenge von Mozart-Bildern, die sich alle überlagern oder die je nach Intention herausgefiltert werden. Genau diese Diskrepanz zwischen einem nicht vorhandenen authentischen Bild von Mozart und den vielen "bearbeiteten" Mozart-Bildern interessiert mich in meiner Arbeit. Es geht mir nicht um die Physiognomie, nicht um etwas Biografisches, nicht um etwas Porträthaftes. Und es geht mir darum, zu hinterfragen, wer Mozart in welchem "Modus" sieht; wie sieht ihn die Werbeindustrie, wie die Musikgeschichte, wie die Tourismuswerbung? Und doch dreht sich angeblich alles immer nur um den einen, einzigen Mozart. Es geht daher in der Ausstellung um Medien, um eine mediale Reflexion zu einem multiplen Mozartbild.

MZ: Und welche Rolle spielt hier Salzburg? Fungiert die Stadt als reine Kulisse für dieses vage Mozart-Bild? Im Grunde kann man ja sagen, dass "Orte" für Mozart von besonderer Bedeutung sind. Er arbeitete ja auch mit "Orten" in seinen Opern, solche "Orte" sind dann Symbole für Inhalte, Sevilla etwa für die Spanien-Mode seiner Zeit aber auch für ein "Land ohne Aufklärung" 2); wie steht es dann mit den sogenannten "Mozart-Orten", gibt es überhaupt eine Verortung von Mozart?

RH: Das fragt man sich ganz generell: welche "Orte" haben solche Personen, die sich so in die Geschichte eingeschrieben haben. Die haben doch eher einem Ort einen Mythos zugeordnet. Was mich interessiert, ist aber vielmehr das Umgehen mit solchen Orten. Wie bei Kraftorten oder Wallfahrten – erst indem sie interpretiert werden, erlangen sie eine besondere Bedeutung; je nach Intention, also gleichsam durch ihre Inszenierung. Damit wird versucht, solche Orte begreifbar, erlebbar zu machen. In meiner Arbeit geht es weder um das Herstellen von Inszenierungen oder Arrangements, noch um die reine Dokumentation; ich inszeniere nichts, sondern ich "sehe" etwas. Bei meiner Arbeit geht es um das Nachspüren, manchmal auch um das Aufspüren - manchmal auch um das Entlarven von etwas, beispielsweise auch um das Enttarnen einer Inszenierung von vorgespiegelter Wirklichkeit.
Meine Recherche ist quasi das Exzerpt eines vorhandenen Bildes; etwa wie ein Mythos in Szene gesetzt wird, wie etwa auch Museen daran mitarbeiten, oder historisch-politisch-gesellschaftliche Ideologien daran mitwirken, wie Umformungen und Aneignungen stattfinden können – alle Arten von Manipulationen eben und von Verselbständigungen dieser Prozesse.

MZ: Gedenk-Orte, Gedenk-Stätten werden also aufgefasst als Inszenierungen eines Mythos durch eine jeweils opportune Interpretation?

RH: Ja; es ist doch oft so, dass verschiedene Applikationen auf etwas, dem eine magische Aura nachgesagt wird, aufgesetzt werden. Es entsteht dadurch die Suggestion von Authentizität. Unsere Inszenierungen heute arbeiten mit dem Eindruck des Unmittelbaren. In Mozarts Geburtshaus soll sich der Eindruck einstellen, als ob der kleine Mozart grad das Haus verlassen hat. Aber das, was dieses Bild herstellen hilft, ist nicht oder nur zu einem geringen, ungesicherten Teil, authentisch.

MZ: Mozart-Orte sind also, so wie das Mozart-Bild, ein Konstrukt?

RH: Genau darüber arbeite ich. Orte mit historischer Konnotation werden oft dem Willen zur Konstruktion unterworfen – es wird dem ehrfürchtigen Betrachter etwas angeboten, was eine bestimmte Bedeutung haben soll, eben ein Erlebnis darstellen soll.
Dabei geht es mir um die Zwischenzone zwischen dem Authentischen und dem Artifiziellen, zwischen Echt und Falsch, zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen Relikt und Konstrukt, man kann auch sagen zwischen dem auratischen Objekt mit fetischhafter Bedeutung und dem absichtsvoll inszenierten Fake.

MZ: Spürst du also den künstlichen Mozart-Welten nach? Willst du sie etwa gar einreißen?

RH: Ich habe nichts gegen diese Konstrukte – ganz im Gegenteil. Mich fasziniert die Art und Weise, wie diese Welten inszeniert werden, welche Requisiten Anwendung finden, welcher Dramaturgie man folgt, welche Effekte anvisiert werden. So ein konstruierter Ort heute bedeutet doch: Herstellen von Atmosphäre, Anlegen eines Ambientes – der Mensch heute will Erlebnishaftes, sei es im Wellness-Bereich, in der Freizeitgestaltung, im Kulturgenuss – jedenfalls nach der Meinung derer, die diese Erlebniswelten kreieren.

MZ: Und wie siehst du diesen Erlebniswert?

RH: Ich setze die Fotografie dafür ein, bestimmte Phänomene aus ihrem Kontext zu isolieren. Das macht jeder Fotograf, das ist eigentlich fotografie-immanent. Ich seziere also etwas aus dem Gesamtgewebe heraus und schon wird es fragwürdig, manchmal sinnlos, manchmal lächerlich, manchmal auratisch-überhöht. Es verändert sich jedenfalls die Wahrnehmung, und dadurch auch der Blick darauf. Damit wird der Mythos ver-rückt oder zurechtgerückt. Es ist ein Unterschied, ob ich Rauminszenierungen durchschreite, ober ob ich ein Modell von diesen Räume fotografiere – die eine Künstlichkeit nimmt man gelassen als gegeben an (bemerkt vielleicht den Willen zum Konstrukt gar nicht), die andere Künstlichkeit wirkt gleich fremd, puppenstubenhaft und doch irritierend.

MZ: Besucher von Mozartgedenkstätten oder Zuhörer in Konzerten mit historischen Kostümen aus der Mozartzeit geben sich der Illusion hin, sie nehmen an einem authentischen Erlebnis teil, sie vollführen gleichsam eine Zeitreise.

RH: Jeder Besucher oder Zuhörer heute weiß natürlich von der Illusion, der er sich hingibt. Und trotzdem funktioniert die Inszenierung. Meine Arbeit will nicht die Menschen, die sich dieser Illusion hingeben, entlarven oder denunzieren. Es geht mir vielmehr um die Mechanismen dahinter, um die Sehnsüchte und Wunschprojektionen.
Die Mozart-Darsteller, egal ob als Prospektverteiler auf der Straße, als lebende Mozart-Statue oder als Mozart-Musiker in "authentischen" Kostümen bedienen ein seltsam kompliziert aufgebautes Klischee. Kein Mensch erwartet, heute Mozart anzutreffen und doch vollzieht sich eine seltsame Art der Aneignung: Mozart steht vielleicht für eine Sehnsucht nach dem Heilen, der Harmonie, dem Unschuldig-Lustvollen, vielleicht auch dem Intakten, wie man sich eine historische Idylle vielleicht vorstellt. Das bürgt für die Qualität des beworbenen Konzerts, für die Akzeptanz von Mozart-Produkten, selbst für die Identifikation mit einem schematisierten Mozart-Bild. Der Rezipient, der Besucher, Konsument hat bestimmte Erwartungen, die er mit Mozart verbindet. Die werden dann eben partikelweise befriedigt. Ich habe daher auch nicht den Ehrgeiz, ein authentisches Mozart-Hör-Erlebnis in die Ausstellung zu integrieren. Ich spiele auf die Verfügbarkeit von mozartscher Musik an, etwa als taktangebende Musik bei der Akrobatik der Lipizzaner in der Spanischen Hofreitschule.

MZ: Die Musik ist etwas in den Hintergrund gerückt.

RH: Ja, es interessiert die meisten Leute mehr das Persönliche an Mozart, das Individuelle, Eigenwillige seiner Persönlichkeit, seine Tagebücher, seine Zoten und die Anekdoten rund um sein Privatleben. Mich interessiert dabei die Rückkoppelung: wie unglaublich viele unterschiedliche Menschen welches Mozart-Bild rezipieren. Wie die Salzburger Fremdenführer eine notwendigerweise verkürzte Mozart-Biografie in die Besichtigung der Stadt verpacken, wie Touristen auf die Wege zu Mozart geraten, was sie an Bildern aufsuchen und mitnehmen.

MZ: Und die Touristen – das ist so ein Reizwort in Salzburg – erwarten ja jede Art von Mozart-Souvenirs.

RH: Es gibt ja eine Unmenge von Mozart-Produkten, die sind Ableger, Fortsetzungen von Devotionalien, die einerseits pseudo-religiösen Charakter haben und andererseits PR-Mehrwert: "Wo Mozart draufsteht, ist Wohlklang drin" – das meint auch etwas Sinnlich-Kulinarisches wie Mozart-Wurst oder Mozartkugel. Auf dieser Schiene einer platten Ironie bewege ich mich aber nicht. Ich untersuche diese Maschinerie, die sich permanent um den Fokus Mozart dreht – das Spiel geht in unendlichen Drehungen weiter und weiter, mal wird die Annäherung zur fürchterlichen Überlagerung, mal gewinnen Distanz und Respekt die Oberhand.

MZ: Kommt dir Mozart nicht manchmal wie ein Opfer seines eigenen Ruhms vor?

RH: Er tut mir eigentlich nicht leid. Er muss zwar für allerhand herhalten, das prallt aber von ihm ab. Denn letztlich geht es doch um seine Musik, die ewig ist und die die einzig wahre Referenz ist; und nicht der Film, der ihn als rotzigen "Rod-Stewart-Verschnitt" zeigt oder das Klischee als putziges Wunderkind oder als Namenspatron für unzählige Kaffeehäuser, Hotels, Restaurants auf der ganzen Welt, die über die Konnotation mit seinem Namen "good old Europe" vermitteln wollen.

MZ: Apropos Genie oder Wunderkind. Kann man heute mit solchen Begriffen noch etwas anfangen?

RH: Das sind eher Begrifflichkeiten aus einem historischen Kontext. Das 18. Jhd. hat Mozart als Wunderkind gefeiert, im 19.Jhd. mutierte er zum Genie und das 20. Jhd. machte aus ihm einen "Liebling der Götter". Nicht zuletzt war ja eines der bedeutendsten Mozartjubiläen 1941 von den Nationalsozialisten abgefeiert worden. Was Mozart für das 21. Jhd. sein kann, wird sich noch weisen – als Europäer wurde er ja bereits etikettiert. Die Konnotation Biografie-Werk wird aber nun unter wissenschaftlichen Aspekten untersucht, das Mozart-Bild wird immer komplexer. Die Diskrepanz im aktuellen Diskurs um Mozart liegt wohl einerseits im Aufräumen mit Klischees und andererseits im Hätscheln seines Wertes als USP 3).

MZ: Distanz und Nähe also – wie in deinem Ausstellungsprojekt.

RH: Ich habe bei der Vorbereitung meiner Arbeiten das Augenmerk auf die Distanz gelegt, ohne die Annäherungsbewegungen zu übersehen. Es werden konzentrische Kreise um einen Mittelpunkt gelegt, der nicht genau definiert wird. Ein System von Anziehung und Abstoßung hält sich die Waage.
Immer einer möglichen Annäherung folgend bleibt dann doch jeder auf sich selbst zurückgeworfen und kommt zur Erkenntnis, dass Mozart in den verschiedensten Ausformungen und Aneignungen Projektionsfläche der eigenen Bedürfnisse und Sehnsüchte sein kann.
So kann sich ein Mosaik von Assoziationen und inneren Reflexionen zu einem der komplexesten Phänomene der Menschheitsgeschichte ergeben - das war die unglaubliche Herausforderung an diesem Projekt.

  1. Ludwig Schwanthaler (1802 – 1848) schuf die 1842 auf dem Salzburger Mozartplatz aufgestellte Mozart-Statue
  2. Vgl. dazu Siegfried Jüttners Aufsatz in "Mozart und Europa", S 11. Anm.2, Tagungsdokumentation "Mozart 2006", Salzburg 2005
  3. USP unique selling position: für Salzburg ist Mozart der unkonkurrenzierte einzig bedeutsame Markenartikel