Endlich zu Hause?

Robert F. Hammerstiels entlarvender Blick hinter Wohnlandschaft und heimelige Idylle

In Wirklichkeit spiegelt die Kunst den Beschauer, nicht das Leben. Oscar Wilde

Wir sind getrieben von der Sehnsucht nach Glück, Geborgenheit und Sicherheit. Ein menschliches Grundbedürfnis, das gerade in unserer scheinbar so unsicher gewordenen Gegenwart verstärkt an Bedeutung gewinnt. Wir leben in einer Zeit, die von gesteigertem Individualismus und Drang nach Selbstverwirklichung geprägt ist, der Alltag aber gleichzeitig auch von fundamentalen Existenzängsten und Terrorangst beherrscht wird. Wer sehnt sich da nicht nach einer beschaulichen Idylle und dem trauten, sicheren Heim, nach Orten und Gegenständen, die diese Bedürfnisse befriedigen? Oder sollte man besser sagen: durch die wir glauben, sie befriedigen zu können? Was ist Realität, was ist (gewollter) Schein? Wie konstruieren wir uns unsere alltägliche Welt, unseren privaten Lebensraum? Robert F. Hammerstiels künstlerisches Interesse gilt den vielfältigen Wunschprojektionen von uns Menschen und wie geschickt und facettenreich wir diese umzusetzen und auszuleben versuchen. Er seziert und hinterfragt unsere Wahrnehmung und Vorstellung von Welt und Wirklichkeit, das „Sich-ein-Bild-Machen“ von etwas, und wagt einen Blick hinter die glänzende, glatt polierte Oberfläche unserer Lebenswelt – gerade auch dadurch, dass er diese in nüchternen, aber hyperrealistischen Fotografien und Filmen wiedergibt. Hammerstiel interessiert sich für massenindustriell erzeugte Fertigprodukte, die für eine individuelle Anwendung gedacht sind. Denn obwohl diese in ihrer Bestimmung schon definiert sind glauben wir, sie nach dem Kauf individuell konnotieren zu können. Eine trügerische Illusion? Können wir sie wirklich verändern oder verändern sie uns? Hammerstiels besonderer Fokus liegt auf „den Darstellungsmechanismen der Werbe- und Konsumgesellschaft, in der diese Sehnsüchte vorgemacht, immer wieder neu erzeugt und stereotypisiert werden“. Er untersucht häusliche Inszenierungen und gebaute Wohnkulissen, installierte Behaglichkeiten und unbewohnte Wohnlichkeiten, die alle den strategischen Willen verfolgen, wohlige Geborgenheit zu signalisieren. Ob das eigene Heim, das Haustier oder auch die Topfpflanze: Der Künstler spricht provokant von „künstlichen Surrogaten“, die uns Sicherheit und Vertrautheit vorgaukeln sollen. Genau diese Ersatzprodukte möchte er als solche sichtbar machen und „freistellen“,sie aus dem bekannten Konsumumfeld herausreißen, hinterfragen und bewusst machen (anschaulich gelingt das etwa dadurch, dass Motive vor weißem Hintergrund inszeniert werden). Der Mensch ist dabei kaum zu sehen und doch ist er der Mittelpunkt allen künstlichen Tuns und immer spürbar. Wie Porträts erzählen die Arbeiten über die menschliche Existenz, wie wir leben und leben möchten, welchen Illusionen und Träumen wir uns hingeben.

Was für schöne Bilder! Wir sehen präzise in Reih’ und Glied stehende hohe Thujenhecken vor blauem Himmel und penibel geschnittene, rechteckige Rasenflächen. Kein Unkraut stört das satte Grün, ein kleines, liebliches Gartenhäuschen mit Swimmingpool liegt mitten im Garten, daneben ein Kinderspielplatz. Schrecklich schön. Die Fotografien der Arbeit „Make Yourself at Home IV“ (2014) sind perfekt ausgeleuchtet und von unglaublicher Klarheit – und Kälte. In der hyperrealistischen Wiedergabe dieses Privatgartens gelingt dem Künstler ein beklemmendes Bild für die menschliche Hybris, sich die Natur untertan zu machen. Die Landschaft berührt den Menschen in seinem Innersten, sie dient als Bedeutungsträger für Wildnis und Zivilisationsferne, für romantische Erhabenheit und Paradiesvorstellung. Von diesen Vorstellungen geprägt, wird die Landschaftswahrnehmung zu einer Projektionsfläche unserer Sehnsüchte und Wünsche. Der Mensch geht in die Natur und lässt sie zu seiner Landschaft werden, er benutzt sie und macht sie nutzbar. Bei Hammerstiel verkommt sie zu einer geometrisch-perfekt definierten Kulisse, zur plakativen Tapete ohne Leben. Doch damit nicht genug. Die am Maßbrett gebaute Idylle mit Hecken gleich Mauern erscheint mehr wie eine Abschottung nach außen – mehr eine einengende Begrenzung, denn ein freigeistiger, selbstbewusster Lebensentwurf oder ein erstrebenswerter Sehnsuchtsraum. Der Mensch erschafft sich seine „künstliche Natur“ – eigentlich ein Widerspruch in sich und doch in unserer Welt allgegenwärtig –, so zu sehen etwa auch in einer Serie von verschieden großen, aus diversen künstlichen Materialien realitätsgetreu gefertigten Pflanzen, die Hammerstiel vor neutralem Hintergrund fotografiert und jeweils in Originalgröße ausgearbeitet hat („Trust me“, 2010–2014): eine Täuschung, denn diese Natur ist nicht echt, sondern ein gekauftes Massenprodukt, eine (vermutlich gar nicht so billige) Dekoration. Man muss sehr genau hinsehen, um auf den perfekten Fotos die Fälschung zu entlarven.

Die Ästhetik von Werbebildern dient Hammerstiel oft als Ausgangsmaterial und Inspirationsquelle für seine Arbeit. In ihrer Erscheinungsform und Suggestivität erzeugt sie schöne Bilder, die uns verführen sollen. Doch was sagt uns grundsätzlich das fotografische Bild? Ist es ein Abbild der Wirklichkeit oder die höchste Form der Manipulation? Was ist echt und was nicht? Natürlich ist jede Fotografie ein subjektiver Bildausschnitt aus der Welt, unabhängig von dokumentarischem oder künstlerischem Anspruch. Gerade in Zeiten immer einfacher werdender digitaler (Nach)Bearbeitung stellt sich aber auch die Frage: Wurde hier digital nachgeholfen, wurde (nach)bearbeitet? In Hammerstiels Fotografien geht es jedoch nicht um die digitale Manipulation einer gesehenen Realität, sondern vielmehr um die Wiedergabe einer bereits konstruierten Realität, um Kopien oder auch Illusionen von Welt(en). Der dokumentarische Hyperrealismus in seiner hohen Perfektion tritt in einen spannungsreichen Kontrast zum gewählten Motiv: die künstlich angelegte Gartenidylle, die konstruierte Privatheit von Interieurs einer öffentlich zugänglichen Fertighausanlage, die menschenleeren Kulissen und Landschaften aus dem Online-Computerspiel „Second-Life“, die zu barocken Stillleben arrangierten Plastiklebensmittel aus China, die Klebefolien mit verschiedenem Holz- oder Steinimitaten, die genormten rohen Stecklinge der Yucca-Palme, die in Transportnetze verpackten Christbäume, die lebensgroßen, als Mannequins inszenierten Kindermodellpuppen, die Barbie-Puppe, das Plastikpuppenhaus und das Legospielzeug, die für Haustiere geschaffenen Welten …

Zimmerpflanzen und Haustiere haben es Hammerstiel besonders angetan. So wie der Mensch sich mit Pflanzen ein Stück Natur in die vier Wände holen will, ist auch die Domestizierung der Tiere Bestandteil der Unternehmung, ein wohliges Heim zu erschaffen – auch für das Haustier selbst: bunt-transparente Käfige für Hamster, flauschige Klettergeräte für Katzen, fantasievolle Innenwelten für Fische. Der Hund, der beste Freund des Menschen, bekommt Gummispielzeug und Plastikknochen, aber auch einen kleinen Mikrochip injiziert. Dabei verlässt Hammerstiel das zweidimensionale Medium der Fotografie: Gummibälle stapeln sich in einem Glaskasten mit Greifarmen, wie wir ihn vom Jahrmarkt kennen, Hundeleinen hängen an den Wänden (darunter die Fotos der Hundebesitzer), die Injektionsnadeln werden mit Strichcode in kleinen Boxen präsentiert. Das scheinbar Individuelle wird normiert, gekennzeichnet, etikettiert.

Immer wieder bereichern bewegte Bilder Hammerstiels Werk. Wir beobachten in Vogelperspektive verschiedene Familien in einer standardisierten Reihenhaussiedlung bei ihren Freizeitaktivitäten, sehen wie eine Familie, die wie aus der Fernsehwerbung entsprungen scheint, in einer künstlichen Gartenhausidylle in ständiger Wiederholung stereotype Phrasen wie „Heute ist ein schöner Tag“ von sich gibt, fühlen mit weinenden Buben und Mädchen – doch hierfür ist nicht realer Schmerz der Anlass, denn die Kinder wurden von einer Schauspiel-Agentur mit dem Auftrag gecastet zu weinen –, oder wir werden mit Hausbesitzern konfrontiert, die über ihr Alarmsystem erzählen und betonen, dass sie sich dadurch in ihrem Heim sicherer fühlen. Hammerstiel denkt in Räumen, deshalb besetzt er mit installativen Arbeiten gerne den Ausstellungsraum, Fotografien und Filme werden in variierender Weise integriert. Auf einem Kunstrasen ziehen Rasenmäher-Roboter ihre Kreise und unterhalten sich über den Sinn des Lebens und sinnentleerte Wiederholungen. Ein kleines, kitschiges Wohnhaus steht für Kinder bereit, daneben noch ein Puppenhaus, eine Hundehütte, ein Vogelhäuschen. Yucca-Palmen stehen in Reih’ und Glied, oder ein weißer Zaun grenzt das Rasenareal ein, und ein Alarm ertönt, wenn man ihn zu überwinden versucht. Die überzeichnete künstliche Welt breitet sich im Museumsraum aus, und ähnlich wie der weiße Hintergrund in den Fotografien verleiht der White Cube den Installationen die passende Hintergrundfolie, um dem Publikum bei der Betrachtung den erforderlichen Distanzierungsgrad und Reflexionsraum zu ermöglichen.

Was ist echt, was eine Kopie, was ist real, was ein Fake? Hammerstiel thematisiert diese gerade heute so dringlichen Fragen, ohne eine eindeutige Antwort geben zu wollen. Er lässt erahnen, wie stark die Grenzen immer wieder verschwimmen, wie leicht wir uns auch täuschen lassen, vielleicht auch manchmal täuschen lassen müssen, um unser Leben zu meistern. So möchte der Künstler auch nicht das menschliche Grundbedürfnis, die Sehnsucht nach Heimat und Geborgenheit in Frage stellen oder gar persiflieren. Er zeigt vielmehr mir nüchterner Distanz die inszenierten Trug- und Identitätsbilder, die nachgebauten Wirklichkeiten und ihre Auswirkungen. Er zeigt die Irrwege, die wir gehen, um die Idylle zu finden, die Gefahren, die unsere Modellwelten generieren, die Übertreibungen und Täuschungen, denen wir uns bewusst oder unbewusst aussetzen. „Wir sind in eine Welt geworfen, die wir nicht verstehen, sie macht uns Angst“, betont der Künstler. „Unsere Inszenierungen und Strategien, ein Zuhause zu schaffen, haben mit Angstbewältigung zu tun. Das Heim soll Sicherheit geben. Hecken geben Sicherheit, aber sie begrenzen auch unseren Blick.“

Die Zitate stammen aus persönlichen Gesprächen des Autors mit dem Künstler in dessen Wiener Atelier im Sommer 2017.

Günther Oberhollenzer, 2017