Robert F. Hammerstiel konfrontiert uns mit vertrauten Motiven aus dem Alltag. Alltag - bei allen unterschiedlichen Ausformungen meint der Begriff den Aspekt des Unauffälligen, des Dazwischens. Er markiert eine Zone des Nicht-Bewussten, die zugleich einen Großteil der gelebten Zeit umfasst und somit optimale Bedingungen für gesellschaftliche Strukturen bereit hält, sich unbemerkt zu etablieren und als verdeckte Ursachen ihre Symptome wie schlichte Gegebenheiten erscheinen zu lassen. Hammerstiel spürt diesen Strukturen nach und sichert mit den Mitteln der Fotografie, des Videos und der Installation in kriminologischer Genauigkeit die Spuren dieser einzelnen Schauplätze.
Im Zentrum dieser Bestandsaufnahmen steht somit das tatsächlich Vorgefundene - das in einer vom Konsum durchdrungenen Alltagswelt Vorfindbare ist letztlich meist ein Produkt, aufgeladen mit der paradoxen Spannung von imaginärem Schein und materialisierter Realität. Griff Robert F. Hammerstiel in früheren Arbeiten inszenierend und arrangierend in diese Produktwelten ein, so radikalisiert er in den ausgestellten Werken den dokumentarischen Blick, indem er sich vollständig hinter das Objektiv auf die Ebene des Mediums zurückzieht. Die vier großformatigen Fotografien der Installation Make Yourself at Home zeigen einen authentischen, real existierenden Garten. An allen vier Himmelsrichtungen verwehren meterhohe Thuyen den Blick von und nach außen. Innerhalb dieses abgezirkelten Rechtecks finden sich die Requisiten des privaten Idylls, vom Gartenhäuschen mit Sitzgruppe und Sonnenschirm bis hin zum Pool mit Rollabdeckung - hier ist nichts dem Zufall überlassen. Es ist kein Mensch zu sehen, der Besitzer dieser Gegenstände wirkt dennoch auf eigentümliche Weise präsent. Auch wenn es sich ausschließlich um Massenprodukte handelt, so suggeriert deren Auswahl und Arrangement doch eine zugrunde liegende Identität. Die Zergliederung der Welt in Produkte führte zum verhängnisvollen Kurzschluss: Das Begehren - die aus der narzisstischen Selbsterkenntnis resultierende und von vornherein auf die unerreichbare andere Seite des Spiegels gerichtete Triebfeder der Existenz - wird in der Aneignung der verfügbaren Ware erfüllt und büßt sogleich das Potential ein, als Sehnsucht und transzendierendes Moment das Urmenschliche zu konstituieren. Die Fotografien der Installation fungieren einerseits als visuelle Fortsetzung des Raums, vielmehr aber verdeutlichen sie den im Spiegelstadium begründeten bildhaften Modus des Begehrens - nicht nur durch die markante Abgrenzung der dunklen Rahmung, sondern vor allem auch durch die gestochen scharfe Darstellung. In dieser Welt gibt es keine Zwischenräume, kein Sfumato, das dem interpretierenden Subjekt erlaubt, über das Bild hinaus zu denken.
Diese Abgeschlossenheit bildet schließlich den Rahmen der Videoreihe Playground III. In Vogelperspektive werden fünf Gärten einer Reihenhaussiedlung gezeigt, die die Menschen wie eine Bühne betreten. Auch wenn deren Gestaltung den Vorstellungen der Besitzer folgt, scheint die Hierarchie umgekehrt: Die einem Bild von Freizeit entsprechenden Kulissen und Requisiten bestimmen das Schauspiel der Wochenendgestaltung. Die hier erfüllten Wünsche wirken wie die aus flüssiger Sehnsucht gegossenen Negativformen der erworbenen Produkte. Das Erkennen des gespiegelten Selbst als Ganzheit weicht in diesem Identitätskonstrukt der zerstückelten Sicht auf einzelne und austauschbare Waren. Eine verbleibende Einheit der sich darin abbildenden Identitätsfragmente wird durch die klare Abgrenzung des Privatraums zu wahren versucht. Darin wird mit ähnlicher Disziplin wie in der Berufswelt dem Drehbuch der Freizeit gefolgt. Eine Unausweichlichkeit, die im Video Warum bin ich nicht überrascht? auf den Punkt gebracht wird: In der Gegenstromanlage eines Pools, dessen Rand zugleich die Grenzen des Bildes definiert, schwimmt eine Frau immerzu am gleichen Fleck. Wenn sie nicht schwimmt, sitzt sie am Rand. Offen bleibt, ob diese Reduktion auf das unmittelbar Reale den Verlust der Transzendenz bedeutet oder gar deren Überwindung - der Pfeil der Sehnsucht, den der Mensch über sich hinaus geschossen hat, hat versehentlich ins Schwarze getroffen.
Das Betreten des Kunstrasens der Installation und die Konfrontation mit den sprechenden Rasenmäherrobotern weiten die Betrachtung schließlich subtil auf die Realität des Ausstellungsbesuchs aus: Wem im Garten sitzend das Bedürfnis beschleicht, sich den großen Fragen des Lebens zu stellen, dem stellt die Kulturindustrie das Angebot des Kunstgenusses. Als Ausstellungskatalog kann dieser sogar als Produkt mit nach Hause genommen werden.
Johannes Holzmann