In allen meinen Arbeiten steht der Mensch im Mittelpunkt, ohne selbst sichtbar zu sein. Bei Rimini als Eingreifer in die Natur: Inszenierung, Gestaltung und Störung. Bei Stand-Orte werden diese Themen weitergeführt, und es finden sich nur noch die Spurenelemente des Menschen in meinen Bildern: das Zurückgelassene, das Beiseitegelegte, die Verletzung.
Im dreiteiligen Portfolio Der Stand der Dinge versuche ich, mich dem Menschen noch mehr zu nähern bis hin zur Intimität, ohne ihn selbst zu zeigen.
In Grüne Heimat zeige ich Teile von verschiedenen Wohnungen privater Personen und konzentriere mich auf Pflanzen als auffallendste Elemente einer inneren Bewegung – Behütung einerseits, Verwahrlosung andererseits. Der Umgang mit Dingen und deren plötzlich entstehender Zusammenhang zueinander interessiert mich; der Stand-Ort zwischen unbewußter Inszenierung und Zufälligkeit. Verschiedene Materialien, Strukturen, Texturen, Farben spielen zusammen und auseinander. Formal wird dies zur Frage von Spannung und Entspannung.
Grüne Heimat auch als visuelles Spiel zwischen "Natur" und "zitierter Natur" auf Tapeten, Textilien, Möbeln ...: in die Innenräume verpflanzte Natur, "zivilisierte" Natur, geordnete Natur, gehütete Natur, Natur als Er-Ziehungsmodell – als Modell für eine ungebrochene Welt? Sehnsucht nach Lebbarkeit? Somit auch die Frage an Begriffe wie Gemütlichkeit, Heimatlichkeit, Geborgenheit.
In Mittagsporträts zeige ich gedeckte Tische des Alltags verschiedener privater Personen. Die Wahl des Essens sowie die Anordnung der Dinge treffen die jeweiligen Personen selbst nach ihren alltäglichen Gewohnheiten. So werden Bereiche der Individualität, ihrer Intimität, ihrer Charaktere sichtbar. Das Stilleben als Porträt eines oder mehrerer Menschen. Die An-Ordnung und die Wahl der Dinge als Bestandteile eines Rituals einerseits, die Abstraktion einer Tischlandschaft, die konkrete Benennung der Dinge und somit die Zu-Ordnung zu einem Menschen andererseits sind Themen der Arbeit. Die Farben als Farben der Intimität. Die Innerlichkeit und Sensibilität einer Ordnung.
In Public Intimity verlasse ich den privaten Bereich und suche in Arbeits- und Ausbildungsstätten sowie öffentlich zugänglichen Räumlichkeiten Dimensionen des Intimen. So werden individuelle Gestaltungsformen sichtbar, die eine Behaglichkeit, Geborgenheit und eine Identität sichern sollen. Eine vielleicht unbewußte "Kunst des Alltäglichen": die Installierung von Signalen, die Introspektive der Farben und der Dinge, die territoriale Abgrenzung zum anderen. Die Bedeutung des Sich-ein-Bild-Machens von etwas und die Bedeutung des Bildes, das wir uns davon wieder machen. Innere und äußere scheinbar mögliche Definition von Dingen in ihrem Kontext. Es geht um die Beziehung von Realität und Schein, um die installierten Trugbilder, die verkaufte Vorstellung von Identitätsbildern, die nachgebaute Wirklichkeit. Oft entstehen daraus eigenartige visuelle Verhältnisse, bis hin zu bildwitzartigen Details; oft auch Räume der Leere, der Verlorenheit, der Trostlosigkeit (keine Orte zum Trösten) und auch Räume der Ängstlichkeit, des Zögerns, der Unentschlossenheit.
Als "Nachtrag" stelle ich dieser Trilogie die ersten selbstgemachten Photographien meines Lebens gegenüber. Eine weitere schwere Reise nach Hause. Die ersten Bilder ist ein Portfolio über die Unbeschwertheit des Blickes eines Kindes. Die erlebte Welt wird sichtbar gemacht, die im Moment wichtigen Dinge und deren individuelle Bedeutung hergezeigt wie ein neues Spielzeug: Photographie hier als Kinderzeichnung – als Äußerung einer inneren Emotion.
Der Stand der Dinge ist eine visuelle Arbeit über die Sprache einer alltäglichen Intimität, einer abgenutzten, abgewohnten, somit nicht mehr bewußt wahrgenommenen Intimität. Eine Standortbestimmung des gewöhnlichen Sichtbaren.
Der Stand der Dinge ist eine inhaltliche Arbeit über Österreich, über Zusammenhänge von Äußerlichkeit und Innerlichkeit, über die Identität einer Lebensgestalt-ung in diesem Land, über den Zu-Stand der Dinge und über die Menschen, die dahinterstehen. Nicht aber soll es eine Arbeit sein, die bloß über soziale Verhältnisse berichtet, und nicht soll sie den Anspruch auf Vollständigkeit erheben.
Der Stand der Dinge ist eine formale Arbeit über die Zufälligkeit oder Bestimmtheit von Farben, eine Arbeit über Linien, über Raum und Fläche, über die Beschaffenheit von Materialien, die einander anziehen oder abstoßen. Die Stand-Orte der Dinge zueinander und gegeneinander sind Ausgangspunkt meiner Wahl der Stand-Orte meiner Kamera.
Photographieren hier als Suchen nach Zeichen einer Identität, einer scheinbaren Behütung, immer aber als Instandsetzung einer Erinnerung.
Robert F. Hammerstiel, Wien 1991