Schönheit in unsere nüchterne Welt!1)

Durch die Massenmedien, die omnipräsent und dabei „fast vollständig dem Kommerz überantworteten sind“), ist unsere Aufmerksamkeit für das Gegenständliche, Warenförmige, Narrative geschult und unsere Phantasie auf jene bessere Welt gelenkt worden, mit der sich die Waren umgeben. Aber unser Auge wird schnell immun und muss von der Konsumwelt stets von Neuem trainiert werden.

Tatsächlich scheinen dabei weniger die Produkte selbst bedenklich zu sein, als die künstliche Aura der makellosen Welten, die mittels suggestiver Bilder um die Produkte kreiert werden und die mit ihren lustvollen Inszenierungen unsere tatsächliche Welt übertrumpfen. Die Werbung pflanzt Bilder in unsere Köpfe, die sich mit dem Besitz der beworbenen Ware verwirklichen könnten: Sie versprechen ein lebenswerteres Leben, sie konstruieren ein Zuhause in der globalen Welt und lassen auf gesellschaftliche Anerkennung hoffen. Für jeden Verbrauchertypus liegt eine maßgeschneiderte Kampagne bereit. Der Konsum ist zur Konsumkultur geworden, die Lebenseinstellungen verkauft.

Parallel dazu ist der Konsum auch in die Welt der Kunst eingezogen: Boris Groys beschreibt das folgendermaßen: „Der Akt der Kunstproduktion ist selbst zu einem Akt des Shopping geworden. Schon seit Duchamp und spätestens seit der Pop Art versteht sich der Künstler nicht länger als Produzent, sondern vielmehr als ein exklusiver Konsument anonym produzierter und in unserer Kultur immer schon zirkulierender Dinge. […] Nicht zufällig will der Künstler von heute nicht mehr kreativ sein, sondern kritisch. Die kritische Einstellung ist aber nicht für den Produzenten, sondern allein für den Konsumenten charakteristisch.3) Warum sollen wir eine neue Ästhetik erfinden, wenn wir schon eine haben.“4) Sieht man sich um, ist in der Kunst heute tatsächlich das Arbeiten mit Reality-Materialien und eine dokumentarische Strategie auffällig verbreitet.

Robert F. Hammerstiel konsumiert, produziert und adaptiert. Er hat sich für die Ausgeburten unserer „schönen neuen Warenwelt“ entschieden, für ihre verführerischen Produkte, aber vor allem für die zweifelhaften Welten, die sie zu erschließen versprechen. Er benützt ausschließlich massengefertigte Waren, die ihrerseits schon Abbilder sind: Plastiktischtücher, Kunststoffpflanzen, Gummi-Hundeknochen, in Kunststoff nachgegossene Nahrungsmittel, Yucca-Palmen oder zuletzt Fertigteilhäuser. Sein Interesse gilt den Repliken, die „ihr“ Original in fast allen Belangen weit hinter sich gelassen haben. Im Sinne der Werbeästhetik verwandelt Hamerstiel seine Motive in begehrenswerte Objekte, die auf großformatigen hochglänzenden gerahmten Fotografien erscheinen, oft wie in eine flache Vitrine gebettet. Die Objekte sind entweder im Maßstab 1:1 abgebildet, oder stark vergrößert, sodass die Starallüren einer Barbie-Puppe (ein Porträt im Format 224 x 184cm) etwa besonders hervortreten können. Spielzeuge, die eine heile Welt simulieren, lässt er in ihrer ursprünglichen Verpackung – und hier kann man über die Jahre beobachten, wie sich die Präsentation der Produkte verschoben hat: in den 1980er Jahren noch vor neutralen Hintergrund montiert, setzten sich in den 2000ern die Hintergrundkulissen durch, die helfen sollen, die Identität der Marke zu unserer eigenen zu machen. Denn die Werbung spürt nicht mehr dem realen Alltagsleben nach, um den Verbraucher für bestimmte Produkte zu gewinnen, sondern das Verhältnis hat sich umgekehrt: die Werbung kreiert den Alltag, den Lebensstil.5)

Besonders deutlich wird dieser Zusammenhang in Hammerstiels neuesten Arbeiten:

Alles in bester Ordnung I heißt es da beschwichtigend im Titel der Serie, die mit der computersimulierten Luftansicht einer Reihenhaussiedlung in idyllischem Hügelland beginnt. Aber genauso unglaubwürdig wie die Aussage, ist auch das gezeigte Glück: Der Bauträger der Reihenhaussiedlung hat zur Anregung glückliche Familienszenen ins Bild montieren lassen, aber die private Idylle hält nicht – das gezeigte Familienglück ist nur ein „Instant-Glück“, von Models gestellte Szenen aus Imagekatalogen. Hammerstiels unterschwellige Kritik zielt genau auf diese nicht-haltbaren Versprechen der Produkte: Wie werden Werte wie Schönheit und Glück evoziert? Sind wir uns bewusst, dass die Werbung ständig das Gefühl von Mangel in unserem Leben künstlich provoziert? Wie sehen die vorgeschlagenen Lösungen aus, die von den beworbenen Dingen auszugehen scheinen? Und vor allem: Wo und wie beginnt das Ideal in sein Gegenteil zu kippen, wann wird etwa der Wohntraum zum Alptraum, in dem Uniformierung und Organisiertheit über das Leben bestimmen?

Robert F. Hammerstiel arbeitet seit Anfang der 1990er Jahren mit solchen skurrilen Surrogaten, die uns vom Markt aufgedrängt werden, und erschließt immer neues Terrain, auf dem die Synthetisierung der Welt fortschreitet. Denn die westliche Alltagskultur imitiert, idealisiert und ersetzt die Natur, wo es nur geht, alles kann in Plastik nachgebildet werden: vom Kaminfeuer über den Christbaum bis zu den Aquariumoasen. Bisher war sein Katalog rein sächlich, in der neuen Serie holt er allerdings den Menschen, dem seine Sammlung letztlich gilt, selbst auf die Bühne. „Drehort“ ist die „Blaue Lagune“, eine Fertighaus-Park-Anlage bei Wien oder „Europas Hauptstadt der Fertighäuser“, wie sich das Unternehmen selbst nennt. Hammerstiel versucht sich dort die Private Stories (2005) vorzustellen, die Sehnsüchte und Visionen, die derartige Vorzeige-Musterhäuser erfüllen sollen bzw. das Scheitern, das sich im 21. Jahrhundert bereits als zulässiges Ergebnis konsolidiert hat. Idealbilder vom „Schöner Wohnen“ finden sich hier in 102 Einheiten wieder – vom heimeligen Landhaus bis zur Designvilla sind zahlreiche Elemente einer langen Architektur- und Häuslbauergeschichte anzutreffen, die zudem in einem breiten Stilspektrum eingerichtet sind, um möglichst alle Geschmäcker zu erreichen.

Aber die bessere Welt wird von den ProtagonistInnen in den Bildern konterkariert. Demotiviert, deprimiert und desillusioniert stehen oder sitzen sie in den Kulissen ihrer trauten Heime herum und haben sich nichts mehr zu sagen oder sind bereits verlassen. Alles ist austauschbar, auch die persönlichen Gegenstände, die von den Lagune-Dekorateuren ausgesucht wurden. Die synthetische Natur, das nagelneue, ungebrauchte, makellose, saubere, glatte hat auch alle Individualität überrollt. Eine unterkühlte Stimmung geht von den medial vorfabrizierten Attitüden und Darstellungsmustern aus. Auf den Kaufrausch folgt Trostlosigkeit.

Auch im Video Die blaue Lagune IV (2004) ist von den Sehnsüchten und Visionen nichts mehr zu spüren. Emotionslos, ja fast lethargisch, zieht die Kamera an den Prototypen eines stereotypen Wohnideals vorbei und passt sich damit deren Gleichförmigkeit an: ein gepflegtes Einfamilienhaus nach dem anderen, jeweils mit einem Stück ebenso gepflegter und abgegrenzter Natur ausgestattet, nirgends ein Auto, kein Mensch, kein Hund und kein Vogel. Dadurch wirkt die scheinbar harmlose Fahrt durch diese unbewohnte Siedlung unheimlich und endlos. Gefangen in diesem Loop träumt Laurie Anderson in ihrem Song Blue Lagoon von einem perfekten Ort, einem wahrhaftigen Zuhause. In einem weiteren Video, Die blaue Lagune III (1999/2004), dreht die Kamera ihre Kreise im Inneren der Lagune-Häuser: ein gepflegtes Interieur nach dem anderen, eines geschmackloser als das andere. Mit jedem weiteren Schwenk, der immer noch mehr postmoderne Ausgeburten zeigt, schwindet die Hoffnung.

Was das Scheitern der Erwachsenen, ist im Kindesalter die Unschuld. Playground I (2005) ist in seiner Ganzheit die Nachbildung eines Originals: in einer aus Plastik gegossenen Spielzeugwelt spielen zwei Kinder Vater-Mutter-Kind und erfüllen ehrgeizig sämtliche Anforderungen an die Rollenklischees. Das Essen wird aufgetragen, der Hund gefüttert, das Mädchen kokettiert, der Junge reagiert, mehr oder weniger. Eine ferne Kamera beobachtet das stille Geschehen. Ein dem Film unterlegtes Vogelgezwitscher wird von lästigem Insektengebrumm eingeholt, um sich dann im Loop unbarmherzig zu wiederholen.

Hammerstiel führt uns in all seinen Arbeiten die Diskrepanzen von Schein und Realität vor Augen, aber nicht indem er sie dramatisiert, sondern indem er sie pointiert. Er blendet manipulative Elemente wie beschönigende Beitexte aus, lässt den Bezug zur Anwendung offen und Hinweise auf den Hersteller weg. Oder er bringt die Dinge in einen Zustand, der dem Konsumenten sonst verheimlicht wird: für Yucca II (2004) lässt er eine ganze Armee genormter Yucca-Palmen Aufstellung nehmen und zeigt auf ihren Etiketten die wahren Herstellungsbedingungen, die den ursprünglichen Werbeslogan ad absurdum führen.

Die Veränderungen sind auf den ersten Blick manchmal sogar missverständlich oder zumindest Auslegungssache und lassen den Dingen durchaus auch ihre Idealität. Diese Uneindeutigkeit haben Hammerstiels Arbeiten mit der Ironie gemeinsam: sie sind wie die Ironie eine uneindeutige Rede, sie setzten etwas in Szene, um es anschließend zu negativieren. Sie fordern den Zuschauer heraus, ihre Doppeldeutigkeit zu erkennen und zu durchschauen, überantworten ihm das Verstehen und auch das Missverstehen. Ihre Nähe zum Ernst verunsichert, aber verschärft gleichzeitig ihr kritisches Potential. Denn die Ironie entlarvt die Suggestion, ohne sie lächerlich machen zu wollen. Sie kommentiert und präzisiert einen Sachverhalt, weil das Gesagte (Gezeigte) auch das Gegenteil meint.

  1. Mattel verteidigt die Barbie-Puppe ihren Kritikern gegenüber, dass sie nicht verstünden, dass es nur um die Schönheit „in unserer sonst eher nüchternen Welt“ gehe. In: Wunschlos unglücklich – Alles über Konsum, Hg. Alexander Meschnig u. Mathias Stuhr, Hamburg: 2005, 109.
  2. Günther Selichar, Photography remixed: Über den Restwert (in) der Fotografie. In: Rethinking Photography, Hg. Ruth Horak, Salzburg: 2003, 251.
  3. Boris Groys, Der Künstler als Konsument. In: Shopping – 100 Jahre Kunst und Konsum, Hg. Max Hollein und Christoph Grunenberg, Ostfildern-Ruit: 2002, 56.
  4. Boris Groys, Banalität ohne Ausweg ist extrem Romantisch. In: Kunstforum 174/2005, 380-384.
  5. Vergl. Wunschlos unglücklich, 97.

Ruth Horak