Robert F. Hammerstiel im Gespräch mit Brigitte Huck

BH: Für dein neuestes Kunstprojekt, das zur Zeit in der Landesgalerie Linz am Oberösterreichischen Landesmuseum ausgestellt ist, bist du in einen Baumarkt gegangen. Die ästhetische Form der Arbeit ist dementsprechend. Eine Art Kulturkritik?

RFH: Ja, Baumärkte und Einrichtungshäuser, Zoogeschäfte und Pflanzenmärkte, ebenso die dazugehörigen Produktkataloge und Werbebroschüren interessieren mich schon sehr lange und sind oft Ansatzpunkt für eine künstlerische Arbeit.

Es interessiert mich das Vorgefertigte, das industriell als Massenprodukt Hergestellte, dass ein Ding genauso aussieht wie das andere. Alle sind schön gereiht in einem Regal und warten darauf, möglicherweise unterschiedliche Bestimmungen zu bekommen. Dieser Wechsel vom Gleichen zum Individuellen ist doch eine spannende Vorstellung! Das ist das eine. Das andere, das mich fasziniert, ist das Kulissenhafte, das diesen Gegenständen und Fertigteilen anhaftet. Etwas ist in ihrer Bestimmung schon vorgedacht, vorweggenommen.

Natürlich steckt in einer Auseinandersetzung mit solchen massenproduzierten Fertigteilen eine Kritik an der Warenförmigkeit und dem Konsumverhalten unserer westlichen Zivilisation. Meine Arbeitsoll aber keine Arbeit über dieses Phänomen sein, soll nicht berichten über Konzernpolitik und soll keine Kritik an handwerklichinteressierten Menschen sein, die sich ihr Zuhause selbst gestalten. Vielmehr möchte ich Darstellungsmechanismen von Realität (Symbolik, Inszenierung, Besitznahme, Benutzbarkeit) und ihre äußeren Erscheinungsformen (Re-Präsentation, Künstlichkeit, Schein, Imitation) untersuchen. Ausgehend von Alltagsgegenständen,vom Blick auf häusliche Befindlichkeiten, interessiert mich das Bedürfnis nach Geborgenheit, Heimat, Gemütlichkeit … und die damit ausgelösten Wunschprojektionen.

BH: Ich glaube, für den Betrachter ist der Aspekt der Künstlichkeit der Welt, die du zeigst, der wesentliche Eindruck. Diese Welt des Unechten wird aber durch den total sachlichen Einsatz „echter“ Materialien erzeugt. Das Ergebnis hat etwas geradezu Beängstigendes: Aus einer Chronik der Fertigteile entsteht: das Niemandsland.

RFH: Genau über dieses "In-between" möchte ich ja arbeiten. Wir Menschen sind in eine Welt hineingeboren, die wir nicht wirklich verstehen. Wir wissen nicht, woher wir kommen und wohin wirgehen; und wir wissen auch nicht genau, was wir hier sollen. So versuchen wir uns „Haltegriffe" zu schaffen, Aufgaben, Definierungen, Benennungen ... und ein Zuhause, um die Angst vordem Ungewissen zu verdrängen. Ich will mit meiner Arbeit dieses Gefühl des unsicheren Zustandes, der Fremdheit auch, in Gang setzen.

BH: Das gelingt ja vor allem mit dem Videoloop Alles in bester Ordnung IV gut. Da wird die künsliche Welt der Installation in ein anderes Medium gespiegelt und zu einer Art vervielfachtem Ready made. Wie bei Andy Warhol ist das dominierende Strukturmerkmal des Films die Wiederholung. Die Wiederholung friert die Botschaft ein, kommt mir vor, und zugleich nervt sie. Man wird das Gefühl nicht los, hinter der Idylle stecken nichts als Neurosen.

RFH: Hinter der Idylle, die ich zeige, stecken die Leere und der Stillstand und auch das Kreisen um das immer Gleiche. Eine Leere der Gesten und Rituale. Alle Protagonisten im angesprochenen Film sind gefangen in ihren Stereotypen. – Die Idylle im eigentlichen und ursprünglichen Sinn meint ja eine Art friedlichen und einfachen Zustand, der möglicherweise auch ein Glücksgefühl mit sich bringt. In meiner Arbeit geht es nicht um eine kritische Haltung der Idylle gegenüber, sondern um die Hinterfragung von vorgefertigten Idyllen, vorgedachten Wünschen und Sehnsüchten – um das Versprechen; z.B. das Versprechen der Werbung und des Produktes, als Konsument mit dem Kauf etwas an "Mehrwert" zu bekommen. Werbeslogans vor den Fertigteilhäusern in der "Blauen Lagune", einem Ort, an den ich – wie zu den Baumärkten – immer wiederzurückkehre, sprechen für sich: "Das Haus, das Freude macht", "Ein Haus fürs Leben", "Dein Wunschhaus", "Alle Ihre Träume unter einem Dach", "Unser Haus macht Sie glücklich", "Das Haus mit Zukunft"... Oft verwende ich solche Zitate oder Produktnamen in meiner Arbeit als Titel, weil sie verraten, wo die Lüge ist und der Abgrund, und gleichzeitig schimmert etwas vom Glanz der vermeintlichen Idylle durch.

Übrigens, was die Wiederholungen im Film Alles in bester Ordnung IV betrifft, sind es ja keine technischen Loops, die ich aneinander gereiht habe, sondern wiederholt gespielte Darstellungen der gleichen Szenen. Alle unterscheiden sich leicht voneinander und sind doch gleich. Das unterstreicht noch mehr dieses Vakuum der stereotypen Handlungen, als würden alle alles an allen Tagen gleichmachen – ein Horror vacui.

BH: Was du sagst ist ja sehr interessant! Und ich hab’ sehr schlampig hingeschaut – ich dachte es seien Loops! Also geht es gar nicht um Wiederholungen, sondern um Serialität? Eine Art repetitive Serialität? Der Film richtet die Aufmerksamkeit der Betrachter auf einen ganz bestimmten Aspekt der Handlung, eine Geste, ein Motiv,um auf das Besondere dieses Moments hinzuweisen. Also Konzentration als eine Strategie, und als zweite Strategie kommt das Element der Zeit dazu, die Veränderung durch die Zeit. Auch wenn diese Veränderungen kaum wahrnehmbar sind.

RFH: Es geht schon um Wiederholungen. In einer Aneinanderreihung des immer Ähnlichen kommt es in Summe dann doch zu einer Art Schleife, wie in einem Hamsterrad. Die Vorstellung, alle Abläufe würde sich jeden Tag immer in denselben eingespielten Bahnen bewegen und alle würden immer nur die gleichen Handlungen verrichten, ist eine ziemlich aussichtslose und beängstigende. Und dennoch ist unser Alltag häufig so geprägt. In eingelernten und vertrauten Gesten und Mustern fühlen wir uns auch sicher.

Natürlich möchte ich all das in meinem Film Alles in bester Ordnung IV ansprechen, auch dass durch Ordnungsparameter ein Maß an Sicherheit und Nützlichkeit im Leben gewährleistet scheint, ebenso durch Sauberkeit und Korrektheit. Ausgangspunkt für die aneinander gereihten Darstellungswiederholungen ist aber das Produzieren von Werbefilmen. Da wird ja jede Szene vielfach gedreht, um anschließend die beste auszuwählen. Dabei soll meine inhaltliche Kritik und die visuelle Gewichtung nicht dem Machen von Werbefilmen gelten, sondern vielmehr den dahinterstehenden Werbestrategien. Im Zentrum meines Films steht der Mensch als Akteur in einer schon längst zur Ware und zum Kalkül gewordenen Welt. Es sollen die trügerischen Mechanismen von gedachten und gebauten Wunschbildern einer scheinbar perfekten, sterilen, politisch und sozial korrekten Welt sichtbar gemacht werden. Durch eine vielfache Wiederholung der wenigen Handlungen, einem „Totspielen“ der Szenen und einem Mechanisieren der Akteure soll ein Gefühl der Verlorenheit, der Leere entstehen – irgendwo dazwischen zu sein, peripher, undefiniert und doch an einem konkreten Ort, das ein Zuhause sein soll, als wäre das Vertraute plötzlich fremd.

BH: Die Installation im Wappensaal (Alles in bester Ordnung III), komplett mit Gartenhaus, Griller und Kinderspielzeug ist eine perfekte Inszenierung, die banaler nicht sein könnte in ihrerPerfektion. Gleichzeitig ist diese Perfektion total künstlich, und die Künstlichkeit ist von der unangenehmen Sorte: das Sehnsuchtsmodell der glücklichen Familie ist in Wahrheit eine Geisterbahn.

RFH: Ich habe nichts gegen Sehnsuchtsmodelle, sie sind überall und nur allzu verständlich, wie ich eingangs erwähnt habe. Die Installation im Wappensaal ist für mich der so genannte "Establishing shot" zum erwähnten Film. Sie ist statischer Ausgangspunkt und scheinbar unberührter Endpunkt einer Bewegung dazwischen. Die Alltagsgegenstände, die da überall herumliegen, als wären sie gerade noch Teil eines Spiels, eines Freizeittreibens gewesen, sind alle ungebraucht und neu. Alles glänzt noch wie am ersten Tag, als wäre es eben aus der Verpackung genommen worden. Genau dieses Changieren zwischen dem objektiven und distanzierten Zeigen der neuen Dinge wie in einem Supermarkt und dem untrügerischen Verweis auf den Gebrauch interessiert mich. Häusliche Inszenierungen, aufgebaute Wohnkulissen, filmische Gebrauchsanweisungen ..., wie man sie in einem Baumarkt oder Gartencenter findet, sind durch ihre Ambivalenz für mich immer sehrspannend: diese unbewohnten Wohnlichkeiten, diese installierten Behaglichkeiten mit dem strategischen Willen, Geborgenheit zu signalisieren.

Die Schnittstelle zwischen Öffentlichkeit und Privatheit, zwischen äußerlichen Angeboten, Bewerbungen und vielleicht auch Zwängen und den inneren Gefühlen und Bewegungen, die Schnittstelle zwischen Außen und Innen, zwischen Zuordnung und Andeutung, Sichtbarem und Unsichtbarem, zwischen Realem und Assoziativem, zwischen dem Bild allgemein und dessen Verhältnis zur Realität ist ja immer Schwerpunkt in meiner Arbeit.

BH: Das sind viele, sehr komplexe Fragestellungen, die du da ansprichst. Die wichtigste von allen, kommt mir vor, um die sich alles dreht in der Ausstellung, ist der Versuch einer Klärung des Begriffs „Wunschbild“. Wenn du mit deinen verschiedenen Szenarios Wunschbilder aufzeigst, die typisch sind für unser Sozialsystem, dann sagen sie viel über die herrschenden gesellschaftlichen Bedingungen aus. Was könnten die strategischen Schlussfolgerungen aus dieser Analyse sein?

RFH: Es wird zwar immer wieder erwartet, dass Künstler Lebenslösungen anbieten oder zumindest auf solche verweisen. Ich dagegen verstehe meine künstlerische Arbeit generell als einen katalysatorischen Prozess, als eine Sichtbarmachung der Strategien von Darstellungsmechanismen politischer, wirtschaftlicher und sozialer Vorgänge.

Die daraus resultierenden Verhaltensmuster und Kodierungen, die zwischen massenindustriell erzeugten Fertigprodukten und deren individuellen Anwendungen ganz persönlicher Vorlieben entstehen, sind Gegenstand meiner künstlerischen Auseinandersetzung. Statussymbole, Annehmlichkeiten, Wunschvorstellungen, Zweckvorrichtungen und andere Indikatoren häuslicher Befindlichkeiten dienen zur Anregung und Spiegelung meines Themas; ebenso die Bedeutung des Sich-ein-Bild-Machens von etwas und die Bedeutung des Bildes, das wir uns davon wieder machen.

Es geht um die Beziehung von Realität und Schein, um die installierten Trugbilder, die verkaufte Vorstellung von Identitätsbildern, die nachgebaute Wirklichkeit … Oft entstehen schon durch bloßes Gegenüberstellen realer Gegenstände und Gegebenheiten eigenartige, visuelle Verhältnisse bis hin zu bildwitzartigen Details; oft aber öffnen sie Räume der Leere, der Verlorenheit, der Trostlosigkeit, der Fremdheit aber auch der Ängstlichkeit, des Zögerns, der Unentschlossenheit.

BH: Ich denke, wir sind uns einig, dass Gespräche wie dieses viel zum Verständnis einer Arbeit beitragen können und ich danke dir für die interessante Diskussion.