Über das globalisierte Habitat scheint sich Fortunas Füllhorn ergossen zu haben. Auf den ersten und flüchtigen Blick jedenfalls realisiert sich in Robert F. Hammerstiels sonnigem Weltentwurf das Glück der „kleinen“ Menschen. In den schmucken Häusern des Lotto-Paradieses, auf dem pflegeleichten Kunstrasen nachbarschaftsfreundlicher Vorgärten mit und ohne Aufblaspool, in den bezaubernden Wohn- und den traumhaften Schlafzimmern, in den ihnen vorgelagerten keimfreien Musterküchen und in den sauberen und in angemessenem Minimundus-Maßstab möblierten Kinderstuben regieren Friede und Idylle, nicht zuletzt gestützt auf jene Angebote aus Warenhäusern, Versandhauskatalogen und Shoppingmärkten, welche für die Erfüllung von dreams, that money can buy Sorge tragen: Gewächse aus Yucca-Plantagen und Topfpflanzenkulturen, luftgepinseltes Wanddekor und Fototapeten aus den kopierfreudigen Repro-Centers, Kleinplastiken aus den Barbie-Lego-Playmobil-Fabriken, Zuneigungsobjekte aus den Zuchtanstalten für habituelle Haustiere, aber auch für außergewöhnliche Wohngenossen der Exotik-Fauna, ruhespendende Aquarien und aufregende Terrarien, alles samt allfälligem und gefälligem Zubehör sorgfältig verpackt und transportsicher verschweißt. Und schier unbegrenzt anderes mehr.
Angesichts eines solchen Ambiente braucht der Alltag von Blue Laguna den Vergleich mit jenem seiner „Partnergemeinde“ Seahaven nicht zu scheuen. Denn auch in diesem von Wasser umgebenen Küstenstädtchen aus Peter Weirs „Truman Show“ scheint jahraus - jahrein die Sonne auf das beschauliche Leben des Versicherungsvertreters Truman Burbank, bis schließlich die kleinbürgerliche Idylle unter der Kuppel des OmniCam-Ecosphere-Gebäudes zerbricht und der Held des Films erkennen muss, dass er nur der Hauptdarsteller einer Fernsehserie war, die es sich innerhalb einer paradoxen Logik zum Ziel gesetzt hatte, das letztlich fiktive Leben eines Menschen von seiner Geburt an als Reality-Show zu präsentieren.
In dieser Hinsicht ist auch der andere Ort Schauplatz einer Desillusionierung mit ihren Folgen. Während aber Seahaven als konventionelle Kinoerzählung sukzessiv seine andere Seite preisgibt und mit der verzweifelten Auflehnung eines von einer entfesselten Medienwelt getäuschten und entwürdigten Opfers endet, so führt uns Hammerstiel, welcher die Simultanlogik des unbewegten Bildes auch dort noch gelten lässt, wo serielle Bilderverknüpfungen und die filmischen Kontinuitäten seiner Videos mit einer narrativen Verlockung winken, schon ursprünglich und inmitten seines so makellosen und sauberen Universums vor Augen, dass in der blauen Lagune keineswegs die blaue Blume der Kleinromantik zu finden ist. Vielmehr liegt auf dieser Welt der Schatten dessen, was ein an Bedürfnisproduktion und Bedürfnisbefriedigung orientierter Konsumapparat unweigerlich mit sich führt: die Außerkraftsetzung der Sehnsucht, die Versagung des unerfüllten Begehrens und das Ende des Strebens nach Utopien.
Damit lasten auf der scheinbar heimeligen Fertighauswelt von vornherein die Wucht der Depression und die Ödnis des Stereotyps. Indem die Realität durch das unmittelbare Reale ersetzt wird, dominiert eine alles erfassende Stofflichkeit des Gegenständlichen, unter welchem sich die Trennung des Belebten vom Unbelebten aufgehoben hat. Dadurch hat sich auch an die Stelle eines blickenden Auges und eines beobachtenden Blicks ein identitätsloses es zeigt gesetzt, aufgefangen von einem plan- und ziellos umherschweifenden seelenlosen Perzeptron, dessen „Wahrnehmung“ auf eine Errechnung des Sehfeldes ohne das Vermögen einer subjektiven Erfahrung reduziert bleibt. Daher verschwindet auch der Unterschied zwischen da, wo kein Mensch zu sehen ist, und dort, wo es Menschen gibt: die Szene bleibt immer menschenleer. Als Bewohner der Blauen Lagunen fungieren stattdessen dialoglose und vereinsamte, nicht der Sprache, sondern der Faktizität des Materiellen unterworfene Wesen, deren Reglosigkeit gleichermaßen die emotionelle Leere wie die erstarrte und vereiste innere Bewegtheit widerspiegelt. Sie sind damit zu Marionetten geworden, deren Akteuren die Fäden entglitten sind.
Unter dem unmittelbaren Eindruck, dass Hammerstiels Universum zu schön ist, um wahr zu sein, hat sich seine Darstellung als die Dokumentation der Einlösung eines Versprechens erwiesen, eines Versprechens allerdings, das sich in seiner ganzen Doppelbödigkeit sowohl als Verheißung als auch als Fehlleistung offenbart. Das Moment der Verfehlung liegt hier wie auch anderswo darin, dass das Verheißene nicht das bleibt, was es ist und dort ankommt, wo es nicht hingelangen sollte, womit gemeint ist, dass es sich an der Erfüllung befriedigt und in der Befriedigung erfüllt.
Die Erfahrung ist uns geläufig: So lange Wünsche mit Ansprüchen und Bedürfnissen permanent kurzgeschlossen werden, so lange Wünsche, Phantasien und Konflikte unablässig auf dem Schauplatz der Welt ausagiert werden, ist uns der Zutritt zum Schauplatz des Traums versagt. Von hier aus ist es nicht weit zur Pornographie, von der einmal treffend behauptet wurde, dass sie der Dieb der Träume wäre, eine Feststellung, die letztlich auch den Kapitalismus in seinem perversen Kern des Warenfetischismus und seiner permanenten Bedürfnis- und Befriedigungsproduktion trifft. Die Realisierung von Träumen bedeutet also logischerweise das Ende des Träumens, da sich ein Ideal nur in Abwesenheit seiner erfüllenden Einlösung am Leben erhalten kann. So wie das Licht zwar die Farbe erschafft, aber gleichzeitig deren größter Feind ist, so finden auch Lust und Sehnsucht (welche nach den Worten des Philosophen nach Ewigkeit streben) gerade durch ihre Befriedigung ihr (zumindest vorübergehendes) Ende. In bezug auf den Traum bedeutet dies, dass das Subjekt aufwacht, sobald der Traumwunsch, das Begehren also, einen Anspruch einholen möchte.
Wie man sieht, sind menschliches Wollen und menschliches Triebleben in ihren dynamischen und ökonomischen Dimensionen ebenso komplex wie paradox. In dieser Hinsicht hat auch Freud Schopenhauers einfache Formel unserer Welt als Wille und Vorstellung korrigieren müssen, um sie als eine Welt auszuweisen, die am Schlusspunkt ihrer Erfahrung vor allem von einem Begehren nach Vorstellungen geprägt ist. Denn das spezifisch Menschliche liegt nicht in naturwüchsigen spezifischen Instinkten und deren adäquaten Befriedigungen, sondern vielmehr in seinen einmaligen gesellschaftlichen Bedingtheiten innerhalb der Begrifflichkeiten von Zivilisation und Kultur, deren Wesen für Freud gerade in einem Triebverzicht begründet ist. Dieses Postulat bedeutet allerdings nicht, dass im menschlichen Sozialisationsprozess, welcher durch Normen, Werte und Ideen reguliert wird, der Trieb als Triebfeder von Verhalten außer Kraft gesetzt wird. Vielmehr geht es darum, dass sich am reinen Trieb, der als solcher an kein Bewusstsein gebunden ist und somit etwas grundsätzlich Unbewusstes darstellt, eine Veränderung vollzieht. Denn Kennzeichen des reinen Triebes ist sein Streben nach unverzüglicher und unmittelbarer Befriedigung, wodurch er sich stets selbst auszulöschen trachtet, so dass er immer auch das Tödliche im Sinne des Todestriebs in sich trägt. Um die destruktive Seite des Triebes zurückzudrängen, muss Triebaufschub, Triebzähmung und Triebbegrenzung geleistet werden. An den Mangel und - wie es Freud formuliert - an die „Not des Lebens“ nach dem Eintritt in eine Welt außerhalb des Mutterleibs gebunden äußert sich der Trieb zunächst als Bedürfnis, das aber nur geringfügig ins Psychische hineinreicht und dort am ehesten jener elementaren Lust/Unlust-Empfindung entspricht, wie sie für die frühesten menschlichen Erfahrungen postuliert wird. Als Streben nach Lust zielt das Bedürfnis auf ein reales und materielles Objekt und befriedigt sich daran. Den ersten Bedürfnissen des Säuglings, deren Befriedigung nur mittels einer anderen Person erfolgen kann - Hunger und Nahrungsaufnahme vor allem - stellt sich jedoch eine Macht entgegen, über die die Mutter verfügt, indem sie das benötigte Objekt, etwa die Brust, gewähren oder vorenthalten kann. Genau auf diese Macht, die sich vor die Befriedigung des Bedürfnisses stellt und die das Bedürfnis vermöge ihres Privilegs des Schenkens oder der Verweigerung transzendiert, zielt das, was wir den Anspruch nennen. Der Anspruch ist somit im wesentlichen nicht auf konkrete Gegenstände gerichtet, sondern ist eigentlich Anspruch auf Liebe, zielt auf Anwesenheit, aber auch – sofern die Autonomie ihre Ansprüche geltend macht-, auf Abwesenheit eines Anderen. Die Herkunft dieses Anspruchs ist in jener Hilfsbedürftigkeit zu suchen, die Freud auf das biologische Moment der menschlichen Unfertigkeit zurückgeführt hat und die das den Menschen nie mehr verlassende Bedürfnis schafft, geliebt zu werden. Gleichzeitig stellt dieser Liebesanspruch eine Quelle des Hasses dar, gespeist aus Abhängigkeit und aus einem Ressentiment gegenüber einem allmächtigen Anderen. Darin dürfte der Ursprung des Neidphänomens liegen, indem der Impuls des Neides bekanntlich nicht auf ein begehrtes Objekt gerichtet ist, sondern auf die Destruktion eines Anderen zielt, welcher sich gegenüber einem eigenen Unvollständigkeitsgefühl in einem tatsächlichen oder vermeintlichen Zustand der Vollkommenheit befindet. Andererseits hat die Macht, die den Zugang zum Objekt verstellt, eine Tendenz, Bedürfnisbefriedigungen zu erniedrigen, weil jede Bedürfnisbefriedigung nach dem bereits anfangs Gesagten gleichzeitig den Liebesanspruch zerschellen lässt. Andauernde Verkennung des Liebesanspruchs kann sich daher verhängnisvoll auswirken, wie es sich etwa im Falle der Magersucht zeigt. Hier wird nach Lacan stets etwas gegeben, was man hat (die Nahrung), anstatt auch etwas zu schenken, was man nicht hat (die Liebe), woraufhin das Kind die Nahrung verweigert und mit seiner Weigerung wie mit einem Begehren spielt.
Der Anspruch ist schließlich auch der Ausdruck des Bedürfnisses in der Sprache. Indem das kindliche Subjekt die signifikante Kette artikuliert, wodurch es im Vollzug dessen, was man die symbolische Kastration nennt, sowohl dem Objekt als auch sich selbst eine materielle und sinnliche Grundlage entzieht, bringt es seine Seinsverfehlung an den Tag. Daraus erhebt sich der Appell, das Komplement davon vom Anderen zu erhalten, insofern der Andere als Ort des Sprechens auch der Ort dieser Verfehlung ist. Um dieses Feld des Anspruchs herum entwickelt sich nun die Wunschformation, die wir synonym mit dem spezifischen freudschen Wunsch als Begehren bezeichnen. Das Begehren entsteht diesseits und jenseits des Anspruchs als Differenz von Bedürfnis und Anspruch. Jenseits, weil der Anspruch, indem er das Leben eines Subjekts nach seinen eigenen Bedingungen artikuliert und das Bedürfnis zurechtstutzt, einen Rest zwischen Bedürfnis und Anspruch aufklaffen lässt; diesseits, weil durch den Anspruch die Seinsverfehlung aktualisiert wird, sodass durch den Anspruch ein Seinsbegehren und eine Spaltung von Sein und Bedeutung entsteht: sofern ich spreche, bin ich nicht und sofern ich bin, bin ich außerhalb von Bedeutung. Unter diesen Bedingungen, die jedem cartesianischen Denken einer Selbstgewissheit des Subjekts entgegenzustellen ist, ist das Subjekt, sofern es der Sprache unterworfen ist, immer ein gespaltenes Subjekt, stets oszillierend zwischen einem Subjekt der Äußerung und einem Subjekt der Aussage.
Sofern im Begehren der Trieb über den Anspruch als Eintritt in die Verbindlichkeit des Sprechens durch die Engführung der Signifikanten gegangen ist, hat er seine ursprünglichen Objekte aus den Augen verloren, findet er an keinem Objekt mehr eine erfüllende Befriedigung und trachtet immer nach etwas anderem. Wenn es also heißt, dass das Begehren des Menschen das Begehren des Anderen ist, so bedeutet dies nicht nur, dass dem Menschen auf Grund des Inzestverbots ein ursprüngliches Liebesobjekt versagt worden ist, so dass er an allen nachfolgenden Substituten nie wirklich Halt finden kann. Es bedeutet auch, dass er von Anfang an und um überleben zu können das Begehren des anderen begehrt und dass sein durch die Sprache gegangenes Wünschen dessen Gesetz der Unabschließbarkeit im Sinne der Metonymie übernommen hat. Unter den ethischen Implikationen der Psychoanalyse hat uns Lacan daher besonders diese ans Herz gelegt: Du sollst in deinem Begehren nicht innehalten! (was allerdings immer wieder anzustrebende Lusterfüllungen und lebensnotwendige Bedürfnisbefriedigungen nicht ausschließt). Unter diesen Voraussetzungen kann man auch dem Glück begegnen, welches nicht etwa auf einem Besitz oder auf einer Bemächtigung und auch nicht so sehr auf einer schicksalhaften Fügung beruht, sondern (auch etymologisch fundiert) in einem Gelingen begründet liegt.
Innerhalb einer raffinierten Ästhetik formaler (Schein-)Affirmationen, welche die Klischees von Ordentlichkeit, Sauberkeit und Perfektion mit imitatorischer Geste derart sinnfällig herausstellen, dass sie sich fast von selbst ad absurdum führen, gelingt es Robert F. Hammerstiel, ein Misslingen erfahr- und erlebbar zu machen: ein Misslingen, das sich aus einer anthropologischen Fehlauffassung des menschlichen Subjekts als einer Art Wunschmaschine ergibt, deren Funktionieren nach dem Vorbild pawlow’scher Reflexbogen gewährleistet wäre. In Anbetracht einer künstlerisch eingefangenen künstlichen Klar- und Sauberwelt ist man schließlich an Robert Musils Worte erinnert, wonach Ordnung irgendwie in Totschlag übergehe.
Als Blaue Lagunen sind daher nicht zuletzt jene Orte zu bezeichnen, in welchen Menschen leben, die nicht auch den Satz zu sagen gelernt haben: Bitte gib mir nicht das, worum ich dich bitte, denn das ist es nicht. Eine andere Formulierung übrigens für den bekannten begehrenserhaltenden Appell: „Protect me from what I want!“
August Ruhs